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Gutachten: Die hessischen Untersuchungsausschüsse zum Rechtsterrorismus

Der Mord an Halit Yozgat durch den NSU-Komplex, der Mord an Dr. Walter Lübcke, der rassistische und rechtsterroristische Anschlag in Hanau, bei dem neun Menschen getötet wurden – die Liste rechtsterroristischer Gewalttaten in Hessen ließe sich hier noch um einiges ergänzen.

 Sowohl zum NSU, als auch zum Mord am nordhessischen CDU-Politiker sowie dem Anschlag vom 19. Februar 2020 gab es parlamentarische Untersuchungsausschüsse im hessischen Landtag: Neben anderen Fragen beschäftigten sie sich auch damit, wie es eigentlich um den Umgang und den Schutz von Betroffenen und Opfern von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt steht – und welche Handlungsempfehlungen daraus abgeleitet werden können.

Wir haben von Prof. Dr. Dr. Max Pichl, Professor für Soziales Recht als Gegenstand der Sozialen Arbeit an der Hochschule RheinMain, ein Gutachten anfertigen lassen, das sich mit der Bewertung und Umsetzung der Handlungsempfehlungen aus den hessischen Untersuchungsausschüssen zum Rechtsterrorismus befasst. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Umgang mit Betroffenen von institutionellem Rassismus. 

Zum vollständigen Gutachten als pdf: Die hessischen Untersuchungsausschüsse zum Rechtsterrorismus

Pressekontakt: presse.response@frankfurt-evangelisch.de

Zum dritten Jahrestag des rechten & rassistischen Anschlags von Hanau

Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen bei dem rechten und rassistischen Anschlag in Hanau getötet.

Ihre Namen lauten:

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov

Drei Jahre ist es inzwischen her, dass sie an zwei Tatorten in Hanau ermordet wurden und das Motiv lautete: Rassismus.

Drei Jahre nach diesem Anschlag, der oftmals als eine Zäsur bezeichnet wurde, bleibt festzuhalten: Von einer gesellschaftlichen und politischen Aufarbeitung, von einer umfassenden Aufklärung dessen, was am 19. Februar 2020 passierte und wie es dazu kommen konnte, kann noch längst keine Rede sein.

Denn rechte, rassistische und antisemitische Stereotype und Vorurteile halten sich robust – die Art und Weise, wie über die Silvesternacht 2022/2023 in Berlin gesprochen wurde, hat dies deutlich vor Augen geführt. Dabei schwingt immer die Gefahr mit, dass aus rassistischen Äußerungen rassistische Gewalttaten entstehen können.

Rassistische Gewalttaten sind stets als Botschaftstaten zu lesen. Sie richten sich an ganze Gruppen und Communities, die auf vermeintliche Zuschreibungen reduziert werden und denen signalisiert werden soll, dass sie nicht akzeptiert werden als Teil der Gesellschaft.

Den Betroffenen zu helfen, sie zu unterstützen, ihnen ernsthaft zuzuhören und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, das alles sind wichtige und richtige Schritte, um dieser Gewalt zu begegnen. Schlussendlich liegt es an uns allen, den Bedingungen, die eine Tat wie den rechten und rassistischen Anschlag von Hanau ermöglichen, entschlossen entgegenzutreten: Dies beinhaltet ein kompromissloses und klares Engagement gegen rechte Gewalt, Rassismus und Antisemitismus.

Auf politischer Seite ist es an der Zeit, nicht nur Verantwortung zu benennen und zu übernehmen – es müssen Konsequenzen folgen. Diese Konsequenzen müssen sich endlich in konkrete Maßnahmen übersetzen: von rassismuskritischer und traumasensibler Ausbildung bei Polizei und Behörden bis hin zu klaren Konzepten und Mindeststandards, die bei rechten, rassistischen und antisemitischen Gewalttaten greifen müssen.

Das eindeutige Bekenntnis gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit jeder Art ist am Jahrestag des rechten und rassistischen Anschlags von Hanau ein klares, solidarisches Zeichen mit den Überlebenden, den Angehörigen der Ermordeten und allen weiteren Betroffenen.

Jede:r sollte versuchen, auch an jedem anderen Tag im Jahr einen Teil dazu beizutragen, rassistische und antisemitische Strukturen aufzubrechen. Denn nur im geteilten und gemeinschaftlichen Einstehen gegen rechte Gewalt, Rassismus und Antisemitismus besteht die Chance, jenen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen, für den insbesondere Überlebende und Angehörige zusammen mit ihren Unterstützer:innen Tag für Tag bisher selbst kämpfen müssen.

Unser Statement als pdf: Zum dritten Jahrestag des rechten & rassistischen Anschlags von Hanau

Pressekontakt: presse.response@frankfurt-evangelisch.de

Aussage von response vor dem Untersuchungsausschuss zum rechten & rassistischen Anschlag in Hanau

Liisa Pärssinen, Leiterin der Beratungsstelle response – Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt spricht am 13. Januar 2023 in Wiesbaden vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss 20/2, welcher sich der politischen Aufarbeitung des Anschlags und der Aufklärung von möglichen Versäumnissen und Fehlern von Seiten der Behörden widmen soll. Als Sachverständige äußert sie sich vor den Parlamentarier:innen zu den Themenkomplexen Opferschutz, Opfernachsorge und dem Umgang von Polizei und Behörden mit Überlebenden und Angehörigen. Die Beratungsstelle response berät und begleitet Überlebende und Betroffene des Anschlags zum Teil von Beginn an bis heute.

Liisa Pärssinen berichtet aus dieser konkreten Beratungspraxis und – erfahrung und legt dar, wie es fast drei Jahre nach dem rechtsterroristischen und rassistischen Anschlag in Hanau um die Versorgung der Betroffenen steht und welche konkreten Forderungen sich daraus ableiten lassen: schnelle, unbürokratische und niedrigschwellige Unterstützungsangebote, traumasensible und rassismuskritische Ausbildung von Behördenmitarbeiter:innen sowie der Aufbau von neuen Strukturen, welche die Aufarbeitung des Anschlags unterstützen und nicht zusätzlich belasten.

„Bei einem rechtsterroristischen und rassistischen Anschlag wie in Hanau geht es in einem ersten Schritt immer um eine angemessene und sensible psychosoziale Erstversorgung vor Ort. Danach muss aber die langfristige Versorgung und Unterstützung der Betroffenen durch die entsprechenden Strukturen gewährleistet sein. Das gegenwärtige Opferentschädigungsgesetz (OEG), wie es auch für die Betroffenen von Hanau Anwendung findet, ist kein System, welches Betroffene von rechtsterroristischen und rassistischen Anschlägen in ihrer akuten und länger andauernden wirtschaftlichen Notlage auffangen und absichern kann“, erläutert Liisa Pärssinen. Das wird sich absehbar auch nach der geplanten Reform des OEG zum 1. Januar 2024 nicht ändern.

„Aktuell müssen Antragssteller:innen umfänglich und mit hohem Aufwand nachweisen, dass sie sich tatsächlich in einer Situation befinden, die sie zu Entschädigungsleistungen berechtigt. Dadurch werden zusätzliche bürokratische Hürden in einem ohnehin hohen Belastungszustand geschaffen. Gleichzeitig entstehen Versorgungslücken, die dringend geschlossen werden müssen.“

Überlebende, Betroffene und Angehörige haben immer wieder öffentlich, mit Nachdruck und in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, wie es um die Anerkennung ihrer Situation und insbesondere um ihre Versorgung steht. Sie sollten ohne hohe Hürden und aufwendige Prozesse auf langfristig angelegte Unterstützungsstrukturen zurückgreifen können: Diese Forderungen unterstützt die Beratungsstelle response ausdrücklich.

Pressekontakt: presse.response@frankfurt-evangelisch.de

Zum 7. Jahrestag des rechten und rassistischen Mordversuchs an Ahmed I.

Es ist der 06. Januar 2023. Es ist der siebte Jahrestag des rechten und rassistischen Messerangriffs auf Ahmed I. 2016 wurde er von hinten mit einem Messer angegriffen, niedergestochen und schwer verletzt. Sein mutmaßlicher Angreifer, Stephan E. wurde für den Mord am Politiker Dr. Walter Lübcke rechtskräftig verurteilt – der Mordversuch an Ahmed I. aber konnte ihm laut Gericht nicht nachgewiesen werden. Ein entsprechender Revisionsantrag Ahmeds wurde im vergangenen Spätsommer abgelehnt. Heute sagt er:

Es ist immer noch schlimm für mich Tag für Tag. Ich vertraue keinem mehr – keinem Politiker und keiner Behörde. Und ich möchte vergessen. Was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe und was mit mir passiert ist, ist nicht normal. Der Angriff 2016 auf mich ist nicht normal. Wie ich behandelt wurde von der Polizei und vor Gericht ist wirklich nicht normal. Der Täter lag auf der Hand, aber ich habe keine Gerechtigkeit bekommen. Wenn du Ausländer bist, dann kannst du es vergessen. Ich danke den Menschen, die mir geholfen haben und die solidarisch mit mir waren und mit mir gekämpft haben. Danke an diese Menschen.“

Aus der Beratung Betroffener von rechter, rechtsterroristischer, rassistischer und antisemitischer Gewalt wissen wir: Diese Gewalttaten sind stets als Botschaftstaten zu lesen. Sie alle sind ganz konkrete und eindrückliche Beispiele dafür, wie Menschen signalisiert werden soll, dass sie sich nicht sicher fühlen können, dass sie weder toleriert noch akzeptiert werden.

Dass solche Gewalttaten konsequent verfolgt und aufgedeckt werden, sollte Teil eines demokratischen, funktionierenden Ermittlungs- und Strafverfolgungssystems sein. Dazu gehört sowohl im Kontext von Ermittlungen als auch vor Gericht die konsequente Umsetzung von geltenden Richtlinien zu Opferschutz und Rassismusbekämpfung, die konsequente Durchsetzung und Überprüfung von Dienstvorschriften in Behörden und Maßnahmen wie jenen, die schon seit den NSU-Untersuchungsausschüssen bekannt sind. Reflexivität gegenüber den Folgen potenziell traumatisierender Erlebnisse und Rassismuserfahrungen sind ebenso unabdingbar wie ein sensibler und würdevoller Umgang mit Betroffenen. Dass sie ernst genommen und gehört werden und ihre Erfahrungen sowie ihr Wissen dokumentiert und einbezogen werden.

Sekundäre Viktimisierung, Täter:innen-Opfer-Umkehr und Bagatellisierung sind nach wie vor und viel zu oft bittere Realität in der Erfahrung von Betroffenen und der Beratungspraxis von response.

Wichtig bleibt auch Aufklärungsarbeit. Die Arbeit des aktuell laufenden Untersuchungsausschusses wird sich an neuen Erkenntnissen und Aufklärung sowie an Schlussfolgerungen und konkreten, prüfbaren Maßnahmen, die daraus abgeleitet werden, messen lassen.  Wichtig bleibt eine engagierte gesellschaftliche Unterstützungshaltung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und die Ausübung konkreter Solidarität.

Ahmed musste lange dafür kämpfen, überhaupt als Betroffener von rechtsextremer und rassistischer Gewalt wahrgenommen zu werden. Er musste lange darauf warten, überhaupt gesehen und gehört zu werden. Wie die vergangenen sieben Jahre für ihn verlaufen sind, ist ausführlich in der nachfolgenden Chronik nachzulesen.

Chronik von 2016 bis heute: Der rechte und rassistische Mordversuch an Ahmed I.

Pressekontakt: presse.response@frankfurt-evangelisch.de

Entscheidung zur Revision der Betroffenen im Verfahren zum Mord an Walter Lübcke und dem Messerangriff auf Ahmed I.

Seit dem Messerangriff auf Ahmed I. begleitet ihn die Beratungsstelle response. Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Die Revision ist für Ahmed I. die letzte Chance auf juristische Gerechtigkeit und die Entscheidung ein starker Indikator dafür, wie konsequent rechte und rassistische Gewalt aufgedeckt und verfolgt wird. Ahmed I. sagt bis heute: „Ich habe viele Tage und Jahre keine Gerechtigkeit bekommen.“ Die vollständige Aufklärung dieser Tat ist essentiell, wenn es um die Frage geht, welche gesellschaftlichen, strafrechtlichen, institutionellen und politischen Konsequenzen aus einem Fall wie dem um Ahmed I. gezogen werden müssen. Bis heute ist für Ahmed I. die Frage offen „Woher kommt mein Blut am Messer von Stephan Ernst?“. Heute hat der Bundesgerichtshof entschieden, dem Revisionsantrag von Ahmed I. und auch von Familie Lübcke und ihren Nebenklagevertreter*innen nicht zu entsprechen und damit Arbeit und Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main bestätigt. Unsere Solidarität gilt an dieser Stelle auch Familie Lübcke.

Am 6. Januar 2016 wurde Ahmed I. in Lohfelden (bei Kassel) von hinten mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Erst im Zuge der Ermittlungen zum Mord an Walter Lübcke wurde der Angriff als rassistisch motivierte Tat benannt und untersucht und später im gleichen Verfahren am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main verhandelt. Während Stephan Ernst im Januar 2021 des Mordes an Dr. Walter Lübcke für schuldig befunden wurde, wurde er im Fall von Ahmed I. entgegen der Plädoyers des Nebenklägers und der Generalbundesanwaltschaft freigesprochen. Ahmed I. sagte damals: „Für Stephan Ernst ist der Freispruch eine Bestätigung. Er hatte einen Plan, er hat darüber nachgedacht, wie man eine Straftat macht, ohne bestraft zu werden und es hat funktioniert.  Stephan Ernst ist ein Rassist. Er ist nicht allein. Es gibt viele Rassisten. Nicht nur Stephan Ernst, viele dieser Rassisten werden nun denken: ‚Wir haben es geschafft‘. Der Freispruch für den Mordversuch gegen mich ist ein Signal an Rassisten und Nazis, dass sie nicht bestraft werden.“

Dieser Freispruch erfolgte trotz zahlreicher Indizien, die in der Gesamtwürdigung nach Ansicht von Ahmed I. und seinem Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann sowie der Generalbundesanwaltschaft für eine Verurteilung hätten ausreichen können. Unter anderem konnte ein Messer bei Stephan Ernst sichergestellt werden, das als potentielle Tatwaffe in Frage kam und welches zusätzlich Blutspuren aufwies, die in besonders markanten Merkmalen mit der DNA von Ahmed I. übereinstimmten:

Alle am vorangegangenen Prozess Beteiligten hatten gegen das Anfang 2021 gefällte Urteil Revision eingelegt. Die Revision wurde am 28. Juli 2022 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhandelt. Heute am 25. August 2022 fiel die Entscheidung darüber:

Die Revision von Ahmed I. wurde abgelehnt.

Diese Entscheidung kritisieren wir. Die Ablehnung des Revisionsantrages sendet für Ahmed I. das erschütternde Signal, das bereits vom Freispruch Anfang 2021 ausging: Bleiben rechte, rassistische, antisemitische und andere Gewalttaten aus gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit straffrei, kann dies schwerwiegende Folgen für das Vertrauen Betroffener in staatliche Institutionen wie Polizei und Justiz bedeuten.

Mit der Ablehnung seines Revisionsantrages hängt es nun noch einmal mehr an der gewissenhaften und sorgfältigen Arbeit des Untersuchungsausschusses in Wiesbaden, der neben dem Mord an Dr. Walter Lübcke auch den Angriff auf Ahmed I. thematisiert, Antworten zu finden.

Stephan Ernst als Einzeltäter zu verurteilen, insbesondere was die Tötung von Dr. Walter Lübcke anbelangt, mag suggerieren, hinter diesen Mord sowie den versuchten Mord an Ahmed I. einen Schlussstrich ziehen zu können. Tatsächlich bleibt die Aufdeckung dahinterliegender rechter Strukturen, in welchen solche Taten geplant, organisiert, unterstützt, ermöglicht und schlussendlich durchgeführt werden, eine gesamtgesellschaftliche und politische Verantwortung, die erfüllt werden muss.

Die hessenweite Beratungsstelle response. Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, seit dem 01.07.2022 in Trägerschaft des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach und mit zwei Standorten in Frankfurt am Main und Kassel, berät seit 2016 Betroffene von rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt in ganz Hessen. Response. pflegt außerdem die hessenweite Meldestelle www.hessenschauthin.de. Das Beratungsangebot ist kostenlos und vor Ort in ganz Hessen. Im Zentrum der Beratung stehen die Situation und Perspektiven der betroffenen Menschen.

Weitere Informationen:

Link zur Spendenkampagne für Ahmed I. für anfallende Revisionskosten:

https://verband-brg.de/nurgemeinsam-ahmed-i/

Informationen zum Angriff auf Ahmed I.:

https://www.bs-anne-frank.de/mediathek/blog/der-angriff-auf-ahmed-i

Link zum Statement von Ahmed I. und zum Plädoyer seines Nebenklagevertreters Alexander Hoffmann zum damaligen Urteil:

https://verband-brg.de/gerechtigkeit-und-aufklaerung-nach-dem-rassistischen-mordversuch-an-ahmed-i/

Pressekontakt: presse.response@frankfurt-evangelisch.de

 

Das Statement zum Herunterladen als pdf: Kommentar Revisionsentscheidung

Beginn der Revisionsverhandlung zum Mord an Walter Lübcke und dem Angriff auf Ahmed I.

Am 28. Juli 2022 wird vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision der Nebenkläger*innen, der Generalbundesanwaltschaft, sowie der beiden Angeklagten Stephan E. und Markus H. gegen das Urteil des Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt zum Mord am damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 01. Juni 2019 und zum rassistisch motivierten Angriff auf den Nebenkläger Ahmed I. am 06.01.2016 verhandelt.

Alle am vorangegangenen Prozess Beteiligten hatten gegen das Anfang 2021 gefällte Urteil Revision eingelegt. Im Falle von Ahmed I. sind sowohl er selbst und sein Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann als auch der Generalbundesanwalt davon überzeugt, dass Stephan E. für die Tat verantwortlich ist. Stephan E. wurde vor dem OLG Frankfurt von dem rassistisch motivierten Messerangriff auf Ahmed I. freigesprochen, während er für den Mord an Walter Lübcke für schuldig befunden wurde.

Der Freispruch in diesem Punkt erfolgte trotz zahlreicher Indizien, die in der Gesamtwürdigung für eine Verurteilung hätten ausreichen können: Bei Stephan E. wurde ein Messer gefunden, das von der Art her als Tatwaffe in Frage kommt, mit den Verletzungen, die Ahmed I. zugefügt wurden, zusammenzubringen ist und welches zusätzlich Blutspuren aufwies, die in besonders markanten Merkmalen mit der DNA von Ahmed I. übereinstimmen. Gerade die Beweisführung und -würdigung mit Blick auf das Messer wird von der Nebenklage als lückenhaft und unzureichend eingeschätzt. Auch die Generalbundesanwaltschaft bewertet die Beweisführung und -würdigung im Fall von Ahmed I. als unzureichend. Weiterhin befindet sich der Tatort in der Nähe zum Wohnort und Arbeitsweg von Stephan E.

Ein Alibi für die Tatzeit hatte dieser nicht. E. verübte in der Vergangenheit außerdem mehrere rassistisch motivierte Straftaten. So griff er im November 1992 beispielsweise einen türkischen Imam auf einer öffentlichen Toilette von hinten mit einem Messer an – die Art der Tat ähnelt damit dem Angriff auf Ahmed I. Auch hier war die Tatwaffe von beiden Seiten geschliffen worden – ebenso wie im Fall des gefundenen und als Tatwaffe in Frage kommenden Messers im Fall von Ahmed I. Dies könnte darauf schließen lassen, dass das Messer bewusst bearbeitet wurde, um es als Stichwaffe zu gebrauchen. Zu betonen ist auch, dass Stephan E. ein Motiv hatte: Er hat grundsätzlich eine nationalsozialistische und rassistische Ideologie und Ahmed I. wohnte damals in eben jener Einrichtung für geflüchtete Menschen, über die Walter Lübcke auf einer Bürger*innenversammlung gesprochen hatte.

E. erwähnte von selbst den 6. Januar in einer Vernehmung und gab an, sehr aufgebracht gewesen zu sein wegen der Silvesternacht in Köln. Er sprach davon, Wahlplakate zerstört zu haben und einen von ihm als „Ausländer“ angesehenen Mann angegriffen zu haben. Später sagte E., die Nennung des Datums sei ein Zufall gewesen und er habe den 01.06. gemeint. Auch hat E. einem damaligen Arbeitskollegen von einer Auseinandersetzung am Tatort mit einem Fußgänger erzählt, von welcher man meinen könnte, es handle sich nur um eine abgewandelte Geschichte des Angriffes auf Ahmed I. Es ist auch so, dass sich E. nachweislich intensiv damit beschäftigt hat, wie man politisch motivierte Straftaten verbergen kann.

Als dies zusammengenommen, verwundert es in keiner Weise, dass auch Ahmed I. selbst immer wieder davon spricht, dass all dies kein Zufall sein kann und er Stephan E. für den Täter hält. Entsprechend niederschmetternd war der Freispruch für ihn. Für ihn ist und bleibt die Frage „Woher kommt das Blut an seinem Messer?“ bis heute ungeklärt. 

Der Mord an Walter Lübcke soll auch parlamentarisch im Rahmen des Untersuchungsausschusses UNA 20/1 in Wiesbaden aufgearbeitet werden. Im Fokus stehen dabei mögliche Fehler der Sicherheitsbehörden. Auch hier bekräftigte Ahmed I. u.a. bei seiner Aussage im Mai 2022, dass die Nichtverurteilung von Stephan E. für ihn unverständlich bleibt. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer, welcher am gleichen Tag aussagte, betonte, dass er ebenfalls bis heute überzeugt sei, dass Stephan E. den Messerangriff auf Ahmed I. begangen habe.

Der SPD-Obmann Günther Rudolph formulierte nach der Untersuchungsausschusssitzung dazu: „Die in der Anklageschrift aufgezählten Indizien sprechen eine klare Sprache: Ein rassistisches Weltbild, eine langjährige kriminelle Vita mit Hang zur Gewalt bis hin zum versuchten Totschlag, eine mögliche Tatwaffe mit DNA-Spuren und ein schwammiges Alibi hätten schon 2016 den Schluss zugelassen, dass die Polizei bei ihrer Befragung von Stephan E. im Wortsinn an der richtigen Tür klingelte. Der Hang zur Gewalt bis hin zum versuchten Totschlag ist bei E. nicht zu übersehen, der auch schon in den 90ern für einen sehr ähnlich begangenen Messerangriff verurteilt wurde. Nahtlos reiht sich der Angriff auf Ahmed I. somit in die kriminelle Vita von Stephan E. ein. Die traurige Erkenntnis des heutigen Tages ist, dass trotz der Befragung von Stephan E. nach der Tat keine weitere Untersuchung durch die Polizei erfolgte.“ (https://www.spd-fraktion-hessen.de/2022/05/06/indizienkette-spricht-klar-fuer-die-schuld-von-stephan-e/)

Ahmed I. hat in der Vergangenheit immer wieder berichtet, dass er von Anfang an auf ein rassistisches Motiv hinwies, als Betroffener und als wichtiger Zeuge aber über lange Zeit weder ernstgenommen noch seine Perspektive gesehen wurde. Vielmehr fühlte er sich oft als Täter, nicht als Betroffer behandelt.

Hermann Schaus, Obmann der Partei DIE LINKE erklärte im Nachgang zur entsprechenden Sitzung dazu u.a, „[…] dass Ahmed I. als Betroffener rechter Gewalt falsch behandelt wurde. Die Richtlinien zum Opferschutz wurden, wenn überhaupt nur spärlich eingehalten. Ahmed I. formuliert, nicht ernst genommen worden zu sein. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Betroffene von Gewalttaten müssen dringend die gesetzlich gesicherte Unterstützung erhalten und dürfen nicht allein gelassen werden.“ (https://www.linksfraktion-hessen.de/presse/mitteilungen/detail-pressemitteilungen/luebcke-untersuchungsausschuss-ahmed-i-wurde-von-den-behoerden-allein-gelassen/)

Die Parlamentarier*innen des Untersuchungsausschusses gaben Ahmed I. am Tag seiner Aussage das Zeichen, auch in seinen Fall im Rahmen ihrer Möglichkeiten aufklären zu wollen, zu welchen konkreten Versäumnissen es bei den Ermittlungen kam. 

Wichtig bleibt für Ahmed I. bis heute ein aussagekräftiges, gerichtliches Urteil, das den Angriff auf ihn als explizit rassistisch motivierte Tat benennt und die dafür verantwortliche Person zur Rechenschaft zieht. Aus unserer Beratungsarbeit wissen wir: Nur, wenn Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt darauf vertrauen können, dass derartige Taten weder gesellschaftlich noch vom Rechtsstaat toleriert werden, sondern aktiv unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Mittel verfolgt und als das benannt werden, was sie sind, kann zuweilen aufgebautes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen wieder abgebaut und Gerechtigkeitsempfinden wiederhergestellt werden.

Der Ausgang der Revisionsverhandlung mit Blick auf den rassistischen Messerangriff auf Ahmed I. ist für ihn selbst von großer Bedeutung, hat aber auch eine Signalwirkung und geht damit weit über seinen konkreten Fall hinaus: Die Aufklärung der Tat sowie entsprechende Konsequenzen sind unabdingbar, soll das eindeutige Signal gesendet werden, dass die Dimension politisch rechts motivierter und rassistischer Gewalt ernst genommen und ihr entsprechend und entschlossen genug begegnet wird.

Das Statement als pdf herunterladen: Revisionsverhandlung Ahmed I.

Link zur Spendenkampagne für Ahmed I. für anfallende Revisionskosten:

https://verband-brg.de/nurgemeinsam-ahmed-i/

Informationen zum Angriff auf Ahmed I.:

https://www.bs-anne-frank.de/mediathek/blog/der-angriff-auf-ahmed-i

Link zum Statement von Ahmed I. und zum Plädoyer seines Nebenklagevertreters Alexander Hoffmann: https://verband-brg.de/gerechtigkeit-und-aufklaerung-nach-dem-rassistischen-mordversuch-an-ahmed-i/