Seit dem Messerangriff auf Ahmed I. begleitet ihn die Beratungsstelle response. Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Die Revision ist für Ahmed I. die letzte Chance auf juristische Gerechtigkeit und die Entscheidung ein starker Indikator dafür, wie konsequent rechte und rassistische Gewalt aufgedeckt und verfolgt wird. Ahmed I. sagt bis heute: „Ich habe viele Tage und Jahre keine Gerechtigkeit bekommen.“ Die vollständige Aufklärung dieser Tat ist essentiell, wenn es um die Frage geht, welche gesellschaftlichen, strafrechtlichen, institutionellen und politischen Konsequenzen aus einem Fall wie dem um Ahmed I. gezogen werden müssen. Bis heute ist für Ahmed I. die Frage offen „Woher kommt mein Blut am Messer von Stephan Ernst?“. Heute hat der Bundesgerichtshof entschieden, dem Revisionsantrag von Ahmed I. und auch von Familie Lübcke und ihren Nebenklagevertreter*innen nicht zu entsprechen und damit Arbeit und Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main bestätigt. Unsere Solidarität gilt an dieser Stelle auch Familie Lübcke.
Am 6. Januar 2016 wurde Ahmed I. in Lohfelden (bei Kassel) von hinten mit einem Messer angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Erst im Zuge der Ermittlungen zum Mord an Walter Lübcke wurde der Angriff als rassistisch motivierte Tat benannt und untersucht und später im gleichen Verfahren am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main verhandelt. Während Stephan Ernst im Januar 2021 des Mordes an Dr. Walter Lübcke für schuldig befunden wurde, wurde er im Fall von Ahmed I. entgegen der Plädoyers des Nebenklägers und der Generalbundesanwaltschaft freigesprochen. Ahmed I. sagte damals: „Für Stephan Ernst ist der Freispruch eine Bestätigung. Er hatte einen Plan, er hat darüber nachgedacht, wie man eine Straftat macht, ohne bestraft zu werden und es hat funktioniert. Stephan Ernst ist ein Rassist. Er ist nicht allein. Es gibt viele Rassisten. Nicht nur Stephan Ernst, viele dieser Rassisten werden nun denken: ‚Wir haben es geschafft‘. Der Freispruch für den Mordversuch gegen mich ist ein Signal an Rassisten und Nazis, dass sie nicht bestraft werden.“
Dieser Freispruch erfolgte trotz zahlreicher Indizien, die in der Gesamtwürdigung nach Ansicht von Ahmed I. und seinem Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann sowie der Generalbundesanwaltschaft für eine Verurteilung hätten ausreichen können. Unter anderem konnte ein Messer bei Stephan Ernst sichergestellt werden, das als potentielle Tatwaffe in Frage kam und welches zusätzlich Blutspuren aufwies, die in besonders markanten Merkmalen mit der DNA von Ahmed I. übereinstimmten:
Alle am vorangegangenen Prozess Beteiligten hatten gegen das Anfang 2021 gefällte Urteil Revision eingelegt. Die Revision wurde am 28. Juli 2022 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhandelt. Heute am 25. August 2022 fiel die Entscheidung darüber:
Die Revision von Ahmed I. wurde abgelehnt.
Diese Entscheidung kritisieren wir. Die Ablehnung des Revisionsantrages sendet für Ahmed I. das erschütternde Signal, das bereits vom Freispruch Anfang 2021 ausging: Bleiben rechte, rassistische, antisemitische und andere Gewalttaten aus gruppenspezifischer Menschenfeindlichkeit straffrei, kann dies schwerwiegende Folgen für das Vertrauen Betroffener in staatliche Institutionen wie Polizei und Justiz bedeuten.
Mit der Ablehnung seines Revisionsantrages hängt es nun noch einmal mehr an der gewissenhaften und sorgfältigen Arbeit des Untersuchungsausschusses in Wiesbaden, der neben dem Mord an Dr. Walter Lübcke auch den Angriff auf Ahmed I. thematisiert, Antworten zu finden.
Stephan Ernst als Einzeltäter zu verurteilen, insbesondere was die Tötung von Dr. Walter Lübcke anbelangt, mag suggerieren, hinter diesen Mord sowie den versuchten Mord an Ahmed I. einen Schlussstrich ziehen zu können. Tatsächlich bleibt die Aufdeckung dahinterliegender rechter Strukturen, in welchen solche Taten geplant, organisiert, unterstützt, ermöglicht und schlussendlich durchgeführt werden, eine gesamtgesellschaftliche und politische Verantwortung, die erfüllt werden muss.
Die hessenweite Beratungsstelle response. Beratung für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, seit dem 01.07.2022 in Trägerschaft des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach und mit zwei Standorten in Frankfurt am Main und Kassel, berät seit 2016 Betroffene von rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer menschenfeindlicher Gewalt in ganz Hessen. Response. pflegt außerdem die hessenweite Meldestelle www.hessenschauthin.de. Das Beratungsangebot ist kostenlos und vor Ort in ganz Hessen. Im Zentrum der Beratung stehen die Situation und Perspektiven der betroffenen Menschen.
Weitere Informationen:
Link zur Spendenkampagne für Ahmed I. für anfallende Revisionskosten:
https://verband-brg.de/nurgemeinsam-ahmed-i/
Informationen zum Angriff auf Ahmed I.:
https://www.bs-anne-frank.de/mediathek/blog/der-angriff-auf-ahmed-i
Link zum Statement von Ahmed I. und zum Plädoyer seines Nebenklagevertreters Alexander Hoffmann zum damaligen Urteil:
https://verband-brg.de/gerechtigkeit-und-aufklaerung-nach-dem-rassistischen-mordversuch-an-ahmed-i/
Pressekontakt: presse.response@frankfurt-evangelisch.de
Das Statement zum Herunterladen als pdf: Kommentar Revisionsentscheidung